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Nach 15 Jahren trat der Schweizer Medienminister ab. Er hielt die Festung. Aber besonders innovativ war er nicht.
Von Roger Blum

In der 15jährigen Amtszeit von Medienminister Moritz Leuenberger – von Herbst 1995 bis Herbst 2010 – hat sich die Medienwelt gewaltig verändert: Das Internet hob zu seinem Siegeszug an, Gratiszeitungen und neue Sonntagszeitungen traten auf den Plan, Citizen Journalists und Blogger machten sich bemerkbar, Mobiltelefon, Satellitenfernsehen, DAB-Radio, i-Phone, i-Tune und i-Pad kamen auf, Facebook und Twitter wurden populär, die Medienkonzentration schritt voran, der Telefonrundspruch und die Mittelwelle verschwanden, und die traditionellen Medien, vor allem die Zeitungen, gerieten in eine grosse Krise. All das musste den Medienminister beschäftigen.

Doppelbesetzung. Eigentlich hat die Schweiz ja stets zwei Medienminister: Für die elektronischen Medien und das Fernmeldewesen ist der Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) mit dem Bundesamt für Kommunikation zuständig. Für die Presse, vor allem für das Presserecht, ist die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) mit dem Bundesamt für Justiz die Anlaufstelle. So gab es in den letzten 50 Jahren eigentlich 15 Medienminister, nämlich Willy Spühler (SP), Rudolf Gnägi (SVP), Roger Bonvin (CVP), Willi Ritschard (SP), Leon Schlumpf (SVP), Adolf Ogi (SVP) und Moritz Leuenberger (SP) im Radio- und Fernsehbereich. Und Ludwig von Moos (CVP), Kurt Furgler (CVP), Rudolf Friedrich (FDP), Elisabeth Kopp (FDP), Arnold Koller (CVP), Ruth Metzler (CVP), Christoph Blocher (SVP) und Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) im Pressebereich.
Da aber die Bundeskompetenzen im Radio- und Fernsehbereich klarer und weitreichender sind als im Pressebereich, und weil sich überdies die Post, die auch zum UVEK gehört, mit dem Pressevertrieb befasst, ist der Radio- und Fernsehminister der eigentliche Medienminister. Und keiner war in den letzten 50 Jahren so lange im Amt wie Moritz Leuenberger.

Vornehme Zurückhaltung. Was soll überhaupt ein Medienminister? In einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft soll er für eine vielfältige und gerechte Medienordnung sorgen und gleichzeitig für die Pressefreiheit einstehen. Dies bedeutet, dass er sich nur dort einmischt, wo der Gesetzgeber das vorsieht, und sich sonst vornehm zurückhält.
Moritz Leuenberger hat sich an diese Regel gehalten. Er hat in mehreren Reden zum Ausdruck gebracht, dass er die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft respektiert. So sagte er im Jahr 2000: „Ich möchte in Anlehnung an einen deutschen Philosophen die Medien mit den kapitolinischen Gänsen vergleichen, die durch ihr rechtzeitiges Geschnatter zu nächtlicher Stunde die römische res publica vor dem Angriff der Gallier gerettet haben. Das kapitolinische Geflügel hatte von da an auch das Recht, Fehlalarme auszulösen, ohne gleich geschlachtet zu werden.
Aus demokratischer Sicht ist das gut so: Lieber ein paar Mal zu oft schnattern als einmal zu wenig. Und da die Politik ja eifrig mitschnattert, können wir beruhigt feststellen: „Das Geschnatter der Gänse ist gewährleistet!” Entsprechend äusserte er sich – wie ebenfalls Bundespräsident Samuel Schmid – auch am Weltinformationsgipfel in Tunis im Herbst 2005 sehr klar gegen die Unterdrückung der Medienfreiheit durch das tunesische Regime.
In der medienpolitischen Umsetzung dieser Grundhaltung war Leuenberger vor allem mit drei Fragenkomplexen konfrontiert:
> Er musste prüfen, wie die Schweiz mit den neuen Informationstechnologien umgeht. Dazu setzte er Arbeitsgruppen ein, die sich dann vor allem auf konkrete Vorschläge beschränkten, wie der Bund das Internet nutzen kann (e-government, e-democracy, ch.ch., virtuelle Schalter, Netz in den Schulen usw.). Hier folgte der Medienminister dem allgemeinen Trend.
> Er hatte sich mit Vorschlägen auseinanderzusetzen, die die Medienvielfalt und die Rolle der Presse in der Demokratie in der Verfassung verankern wollten. Gegenüber diesen Vorstössen, die vor allem aus seiner eigenen Partei kamen (etwa von Hansjürg Fehr oder Andreas Gross), verhielt sich der Medienminister defensiv und wollte von dem vorgeschlagenen Verfassungsartikel nichts wissen. Konzentration bedeute nicht automatisch Machtmissbrauch, sondern habe auch Vorteile, etwa als Stärke gegen PR-gesteuerten Wirtschaftseinfluss auf Medien, argumentierte er. Er wandte sich gegen reine Strukturerhaltung. Das Parlament folgte ihm.
> Und er legte ein total revidiertes Radio- und Fernsehgesetz vor. Hier folgte er zwei Prinzipien: Er wollte einen überzeugenden Service public sichern, also Medienleistungen gewährleisten, die aus bildungs- und gesellschaftspolitischen Gründen nötig sind, aber sich im Markt nicht zwingend rechnen. Und er wollte Spielraum für schweizerische private Angebote. Darum setzte er sich einerseits für eine starke, aber nicht zu mächtige Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ein, welcher er den Löwenanteil der Gebühren zuhalten, aber allenfalls das Sponsoring verbieten wollte. Und er verwendete sich anderseits für private Radio- und Fernsehprogramme, die von möglichst vielen Werbefesseln befreit sind und auch noch ein wenig Geld aus dem Gebührentopf erhalten. Schliesslich wollte er Gremien schaffen, die den Qualitätsdiskurs führen. Diese obrigkeitliche Qualitätsoffensive ging dann aber den Medien zu weit. Per saldo war der Entwurf nicht sehr zukunftsoffen, zumal er im Online-Bereich Entwicklungen verbaute.

Geringer Spielraum. Moritz Leuenberger wusste allerdings, dass der medienpolitische Spielraum in der medial auslandsorientierten Schweiz nicht sehr gross ist. Deshalb betätigte er sich als Festungswächter. Die Festung: Das war vor allem die SRG. Daneben gab es nur einen kleinen Raum für andere. Leuenberger wollte der SRG die Werbung keinesfalls ganz wegnehmen, ihr aber auch nicht jede Gebührenerhöhung bewilligen. Und er wünschte dezidiert eine stärker sprachraumübergreifend aktive SRG, die ihre Integrationsfunktion wahrnimmt. SRG-Generaldirektor Armin Walpen, der sich mit dem Minister nicht sehr gut verstand, konnte diese Position nicht recht nachvollziehen, zumal die SRG an ihre finanziellen Grenzen stiess.
Aber auch die privaten Medienunternehmer schüttelten den Kopf über den Medienminister, weil er ihrer Meinung nach die SRG zu wenig zurückband und sich nicht vehement genug für grössere Werbefreiheit und mehr Gebührengelder für die Privaten einsetzte. 2001 führten die drei Medienunternehmer Roger Schawinski (damals „Tele 24”, „Telezüri”, „Radio 24”), Albert P. Stäheli (damals Espace Media mit „Telebärn” und „Radio ExtraBE”) und Peter Wanner („Tele M 1” und „Radio Argovia”) wegen der Defizite ihrer Fernsehkanäle an einer Medienkonferenz einen scharfen Angriff auf Moritz Leuenberger.

Typisch helvetisch. Das 2006 verabschiedete Radio- und Fernsehgesetz beliess der SRG das Sponsoring und öffnete den Gebührentopf grosszügig für die Privaten, allerdings um den Preis, dass der Medienminister die Sendegebiete bestimmte und über die Konzessionsgesuche entschied. Und diese Entscheide waren nicht alle logisch und nicht alle glücklich.
Insgesamt hat Bundesrat Moritz Leuenberger die Rolle als Medienminister typisch helvetisch interpretiert: vorsichtig, zurückhaltend, die Autonomie der Medien achtend. Am Ende seiner Amtszeit gibt es auf jeden Fall vier Fortschritte (von denen die ersten zwei allerdings auf das Konto der Justizminister gehen): Die Medienschaffenden dürfen jetzt Informanten schützen, in der Verwaltung gilt neu das Öffentlichkeitsprinzip, die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI berät jetzt öffentlich, und die elektronischen Medien müssen sich um die Qualität kümmern.

Roger Blum ist Professor für Medienwissenschaft und Publizist und lebt in Köln. Er präsidiert die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI.

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