Christoph Blocher und seine Partei betreiben die modernste Medienstrategie. Aber ihnen fehlt eine
Tageszeitung. Von Roger Blum
Als Fritz Bopp und Rudolf Minger nach dem
Ersten Weltkrieg Bauernparteien gründeten, waren diese nur in der Landwirtschaft und im Gewerbe
vernetzt. Die spätere Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), die heute Schweizerische
Volkspartei (SVP) heisst, stützte sich vor allem auf Milchgenossenschaften und Gewerbevereine. Nach
und nach durchdrang sie zusätzliche Gesellschaftsschichten, vor allem in den Kantonen Bern,
Zürich, Aargau, Thurgau, Schaffhausen, Baselland und Waadt. Sie etablierte ihre Stützpunkte in
der Armee, in der Verwaltung, in der reformierten Kirche – und heute ist sie auch in der
Wirtschaft, im Banken- und Versicherungssektor und in den Gerichten gut verankert. Nur etwas fehlte
dieser Partei immer: eine starke eigene Presse. 1931 beispielsweise kontrollierten die Freisinnigen
(FDP) 51 Prozent der Presse-Gesamtauflage in der Schweiz, die Christlichdemokraten (CVP) 21 Prozent und
die Sozialdemokraten (SP) 10 Prozent. 1967 rechneten sich noch immer 41 Prozent der Zeitungen der FDP
zu, 35 Prozent der CVP und 8 Prozent der SP. Die SVP aber musste sich mit der „Neuen Berner
Zeitung” und dem „Neuen Bülacher Tagblatt” bescheiden, beides Blätter mit
geringer Auflage. Insgesamt erreichte sie in den beiden Messjahren 6 und 4 Prozent der Gesamtauflage.
1972 verschwand überdies die „Neue Berner Zeitung”. Sie war Opfer jenes
Fusionsprozesses, der schliesslich zur heutigen „Berner Zeitung”
führte.
Blocher krempelt um. Dann aber passierte zweierlei: Erstens lösten sich
in den siebziger und achtziger Jahren alle Zeitungen von den Parteien, so dass die Parteien neue
Medienstrategien entwickeln mussten. Zweitens stieg in der SVP Christoph Blocher auf, der die Partei
umzukrempeln begann: 1977 war er Präsident der Zürcher Kantonalsektion geworden, 1979 zog er
in den Nationalrat ein. Blocher, der dank seiner unternehmerischen Karriere bei der Ems-Chemie über
viel Geld verfügt, setzte auf eine neue, moderne Parteikommunikation. Vor allem seit den neunziger
Jahren besteht die Strategie aus folgenden Elementen: > Blocher begann, Ereignisse zu schaffen,
die für die Medien so relevant sind, dass sie darüber berichten müssen. Mit der
Albisgüetli-Veranstaltung konnte er jeweils das Jahr mit einem politischen Paukenschlag
eröffnen. Redeauftritte wurden von Lokalradios direkt übertragen, die SVP verbreitete sie
zudem selber mittels Tonkassetten und Videos. Grosse öffentliche Manifestationen und Umzüge
schufen Aufmerksamkeit vor den Wahlen, so 1995 in Zürich und 2007 in Bern. > Immer wieder
liess Blocher längere Texte, in denen er Grundsätzliches abhandelte, als Broschüren in
alle Schweizer Haushalte verteilen. Andere Botschaften platzierte er als ganzseitige Inserate in allen
wichtigen Schweizer Zeitungen. > Die SVP begann den „permanenten Wahlkampf”, indem sie
periodisch mit angriffigen Inseraten und Plakaten präsent war. > Früh schon
verfügte Blocher über seine eigene Website (www.blocher.ch), auf der er monatlich eine
Sachfrage zur Abstimmung brachte. Während seiner Bundesratszeit (2003 bis 2007) lag die Website
brach. Inzwischen ist sie, erneuert, wieder voll da – mit Videos, Fotos, persönlichem
Newsletter, Texten, Interviews. Und die SVP Schweiz präsentiert auf ihrer Website unter der Rubrik
„SVP TV” zahlreiche Kurzfilme. > Auf dem Kanal des „Schaffhauser
Fernsehens” und im Internet läuft seit 2007 die Sendung „Teleblocher”
(www.teleblocher.ch, www.shf.ch). Der Journalist Matthias Ackeret interviewt den Volkstribun
wöchentlich, und im „Schaffhauser Fernsehen” ist das Gespräch jeweils 64 Mal zu
sehen.
Typisch für Rechtsparteien. Die Medienaktivität Blochers und der SVP ist
breiter, fantasievoller und intensiver als die der anderen Parteien. Natürlich hat das auch mit
Geld zu tun, vor allen Dingen aber mit Blochers Erkenntnis: Ihm ist klar, dass es in der
Mediengesellschaft nicht genügt, Pressedienste zu verschicken oder Communiqués auf die
Website zu stellen. Das bewog ihn, die modernste Kommunikationsstrategie aller Schweizer Parteien und
Politiker zu realisieren. Die SVP verhält sich mit dieser Strategie ähnlich wie Parteien
der nationalen Rechten in anderen europäischen Ländern – wie die FPÖ in
Österreich (www.fpoe.at), die NPD (www.npd.de) und die Bürgerbewegung Pro NRW
(www.pro-nrw.org) in Deutschland, Vlaams Belang (www.vlaamsbelang.org) in Belgien oder der Front
National (www.frontnational.com) in Frankreich. Auch diese Parteien realisieren eine zugleich
vielseitige, „moderne” und aggressive Kommunikationsstrategie. Etliche von ihnen kupfern
übrigens immer wieder Ideen und Sujets der SVP ab. All diese Parteien sind „in der Form
modern, ideologisch aber antimodern”, wie der Spezialist für rechtsextreme Strömungen,
Thomas Grumke, an einer Tagung zu Islamfeindschaft und Rechtsextremismus in Duisburg sagte. Was
indessen der SVP weiterhin fehlt und was sie immer wieder schmerzlich vermisst, ist eine
„eigene” Tageszeitung. Christoph Blochers Analyse geht stets in die gleiche Richtung: Die
Schweizer Medien seien durch eine Titelvielfalt, aber durch keine Pressevielfalt geprägt, denn die
Berichterstattung sei uniform. Alle schrieben das Gleiche, zumal die meisten Journalisten eher links
stehen. Die Ausnahme ist die „Weltwoche”. Diese Analyse nährt den Wunsch nach einer
Tageszeitung, in der die SVP ihr Gedankengut verbreiten kann.
Unerfüllbarer Traum.
Warum aber eine Tageszeitung in einer Periode, in der sich mehr und mehr Menschen von der Presse
abwenden und die Informationen aus anderen Medien beziehen? Weil die Zeitungen nach wie vor am
stärksten zum politischen Diskurs beitragen. Weil sie mit ihren Kommentaren die Willensbildung der
Bürgerinnen und Bürger beeinflussen. Und weil ihnen viel Glaubwürdigkeit zugesprochen
wird. Doch der Traum bleibt für die SVP unerfüllt. Aus zwei Gründen: > Um eine
neue Tageszeitung zu lancieren, bräuchte die SVP die Einstellung eines Selbstmordattentäters.
Sie würde nämlich in einen gesättigten Markt drängen und vor allem endlos Geld
verlieren. Denn entweder wäre dies eine Tageszeitung mit bloss einem nationalen oder
internationalen Teil, ohne Regionalteile, also eine Art tägliche „Schweizerzeit”. Es
könnte sich also nur um eine Zweitzeitung handeln, die bloss ein sehr kleines,
zahlungskräftiges Publikum erreicht. Oder diese neue Tageszeitung würde in allen Regionen der
Deutschschweiz Regionalteile aufbauen. Dies aber kostet Abermillionen. > Um bestehende
Tageszeitungen aufzukaufen, bräuchte die SVP Verleger, die verkaufswillig sind. Und die gibt es
bislang nicht. Weder die AZ-Medien von Peter Wanner noch die Südostschweiz-Medien von Hanspeter
Lebrument; weder die „Schaffhauser Nachrichten” von Norbert Neininger noch das „Bieler
Tagblatt” von Marc Gassmann oder der „Walliser Bote” von Ferdinand Mengis sind in
einer derart verzweifelten Lage, dass sie Christoph Blocher als Retter rufen würden. Und dass die
Basler das nicht wollen, hat der Widerstand überdeutlich gezeigt: In einer Stadt, in der das
rot-grüne Lager jederzeit mehrheitsfähig ist, hat eine Zeitung mit einem markant
nationalkonservativen Kurs keinen Boden. Und auch in der übrigen Schweiz wäre es fraglich, ob
ein Konglomerat von gut verankerten Tageszeitungen, die in ihren jeweiligen Regionen über ein
Monopol verfügen, einen dezidierten Rechtskurs einschlagen kann, ohne dass nochmals grosse Teile
der Leserschaft wegbrechen.
Roger Blum ist Professor für Medienwissenschaft und
Publizist und lebt in Köln. Er ist Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für
Radio und Fernsehen UBI.
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