Trotz hoher Gewinne baut Tamedia massiv Stellen ab. „Wirtschaftliche Unabhängigkeit
ist die beste Voraussetzung für publizistische Unabhängigkeit”, sagt CEO Martin
Kall. Von Philipp Cueni
Die Personalkommission des „Tages-Anzeigers”
kritisiert den Stellenabbau als „Vergrösserung des Profits der Eigentümer”.
Verlegerpräsident Lebrument sagt im Interview mit der BaZ – ohne direkten Bezug auf Tamedia -
wer auf Gewinnmaximierung aus sei, sollte die Branche wechseln. Tatsache ist, dass Tamedia in der
Vergangenheit und auch in den letzten zwei Jahren sehr gute Gewinne gemacht hat und in Zukäufe
(Espace und Edipresse) und grosse Infrastrukturprojekte (Neubau) investiert. Für 2008 wird ein
Gewinn von 105,8 Millionen Franken ausgewiesen, die Dividendenausschüttung beträgt 32
Mil-lionen Franken. Tatsache ist ebenfalls, dass die Zahlen anders aussehen, wenn man nur den
„Tages-Anzeiger” betrachtet. Auch beim „Tagi” hat das Inserate-Volumen massiv
abgenommen. Gemäss Martin Kall, dem Vorsitzenden der Unternehmensleitung, wird der
„Tages-Anzeiger” trotz Stellenabbau „dieses Jahr und voraussichtlich auch im kommenden
Jahr rote Zahlen schreiben”.
Aktionäre zufriedenstellen. Besitzerfamilie und
Aktionäre konnten in der Vergangenheit sehr gute Gewinne verbuchen. Und Tamedia will die hohen
Renditeerwartungen weiterhin erfüllen. „Wir streben für Tamedia grundsätzlich eine
EBIT-Marge von 15 bis 20 Prozent an”, sagt Kall. Als Medienhaus in der wohlhabenden Schweiz
müsse man „wirtschaftlich erfolgreich sein und mit den europäischen Wettbewerbern
mithalten können.” Tamedia setzt mit 15 bis 20 Prozent Rendite deutlich höhere
Ertragsziele als andere Medienunternehmen in der Schweiz. Den Massstab für die Höhe des
Gewinns setzen die Aktionäre. Dazu Martin Kall: „Letztlich können nur die
Aktionärinnen und Aktionäre als Investoren entscheiden, welche Erwartungen sie in
unternehmerischer und finanzieller Hinsicht an das Unternehmen stellen. Die Gründerfamilie von
Tamedia ist am langfristigen Unternehmenserfolg interessiert und nicht in erster Linie an kurzfristigen
Gewinnen. Wichtig ist für unsere Aktionäre ein finanziell gesundes Unternehmen, das
langfristig unabhängig bleiben kann. Die Erwartungen an die Marge und die Dividende widerspiegeln
dieses langfristige Ziel.” Der „Tages-Anzeiger” ist erst seit 2008 in den roten
Zahlen. Die finanzielle Lage des Gesamtunternehmens würde es zulassen, beim
„Tages-Anzeiger” für eine bestimmte Zeit eine rote Null oder gar einen Verlust in Kauf
zu nehmen. Dazu Kall: „Unser Ziel ist es nicht, kurzfristige Verluste in einer Rezession zu
vermeiden, sondern den „Tages-Anzeiger” auf eine mittelfristig wirtschaftliche Basis zu
stellen.” Tamedia bewertet jeden Geschäftsbereich für sich und will innerhalb des
Unternehmens nicht „quersubventionieren”. Das heisst, der „Tages-Anzeiger” muss
für sich alleine rentieren. Kall begründet das so: „Einzelne Medien zu subventionieren,
wäre nicht nachhaltig. Die Subventionierung würde voraussetzen, dass zwischen
unterstützungswürdigen und nicht unterstützungswürdigen Medien unterschieden
würde. Die Leserinnen und Leser der ‚SonntagsZeitung’ oder des ‚Schweizer
Bauers’ beantworten diese Frage anders als die Leser des ‚Tages-Anzeigers’ oder von
‚20 Minuten’. Deshalb ist es unser Ziel, dass alle Medien auf eigenen Beinen stehen. Unsere
Redaktionen sind selbständig und wir betreiben keinen Konzernjournalismus. Dazu gehört auch,
dass nicht ein Medium von einem anderen, wirtschaftlich stärkeren Medium beherrscht
wird.” Auf diesem Grundsatz, den „Tages-Anzeiger” für sich alleine zu rechnen,
basiert die hauptsächliche Begründung für die Sanierung der Zeitung. Das kann man auch
anders sehen: Viele Verleger haben ihre Zeitungen in der Geschichte immer wieder durch andere
Geschäfte, etwa im Druckbereich, mitfinanziert. Zudem trägt gerade der
„Tages-Anzeiger” wesentlich zu Image und Knowhow des gesamten Unternehmens bei. Und
schliesslich wird gerade die Rendite auch aus dem gesamten Unternehmen gewonnen.
Gewinn und
Unabhängigkeit. Die Personalkommission wirft der Tamedia vor, sie betreibe „ohne Not
einen Stellenabbau auf Vorrat”. Die Tamedia begründet ihre Unternehmenspolitik strategisch:
Es gelte Investoren zu gewinnen und den Aktionären einen langfristigen Mehrwert zu bieten, damit
das Unternehmen unabhängig bleibe, sagt Martin Kall: „Wirtschaftlicher Erfolg ist für
ein Unternehmen eine wichtige Voraussetzung, um seine Zukunft selber bestimmen zu können”, um
in der Lage zu sein, in neue Medien zu investieren und grosse Redaktionen zu finanzieren.
„Medienunternehmen, die in den hervorragenden letzten beiden Jahren nur knapp schwarze Zahlen
geschrieben haben, werden in unserem zyklischen Geschäft unter grossen Druck kommen und unter
Umständen in ihrer Existenz gefährdet sein.” Und: „wirtschaftliche
Unabhängigkeit ist die beste Voraussetzung für publizistische Unabhängigkeit.”
Zu fragen bleibt dennoch, warum diese Unabhängigkeit an derart hohe Gewinne gekoppelt sein
muss. Und, ob die Redaktionen und letztlich die Leser nicht einfach in einer Abhängigkeit
gegenüber dem Aktionariat stehen. Denn dieses entscheidet nach Rentabilitätsüberlegungen,
was im Mediengeschäft publizistisch möglich ist.
© EDITO 2009
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