Erstaunlich viele Chefredaktorinnen und Chefredaktoren sind Mitglied bei Service-Clubs wie Rotary
oder Lions – zusammen mit Führungskräften aus Wirtschaft und Politik. Ist das heikel
für die Unabhängigkeit? Von Esther Hürlimann
Der Rotary Club ist
ein Machtfaktor – besonders auf lokaler Ebene: Indem er die lokale Elite versammelt, vermag er
Politik und Wirtschaft zu beeinflussen”, sagt der St. Galler Soziologie-Professor Franz
Schultheis. Erstaunlich viele Chefredaktorinnen und Chefredaktoren sind Mitglied bei Rotary, Lions oder
Kiwanis. Welche Rolle spielen sie an den wöchentlichen Meetings von Service-Clubs? Christine
Fivian, bis vor einem Jahr Chefredaktorin des „Zürcher Unterländer“, nennt
berufliches Networking als einer der Hauptgründe, weshalb sie vor neun Jahren Rotary beigetreten
sei. „Als ich angefragt wurde, war ich zuerst etwas skeptisch, doch schliesslich sah ich für
meinen Beruf verschiedene Vorteile. Ich kann den Kontakt mit den Opinion Leaders der Region pflegen,
komme besser an wichtige Informationen heran, die mir bei den Recherchen helfen.“
Fuss
fassen. Ähnlich argumentiert Catherine Duttweiler, seit gut vier Jahren Chefredaktorin beim
„Bieler Tagblatt” und nun auch Rotarierin: „Ich war ziemlich überrascht, als ich
als erste Frau in meiner Region angefragt wurde, doch erachtete ich es für unsere Zeitung als
sinnvoll, wenn ich mit einer bedeutenden, in der Region verwurzelten Zielgruppe eine Beziehung pflegen
kann. Weniger wegen der Top News, an die ich möglicherweise herankomme, sondern im Sinne eines
Sounding Board, das mir für unsere Zeitung eine wertvolle Resonanz bietet.” Rotary habe ihr
zudem als Zürcherin geholfen, im Seeland Fuss zu fassen. Pius Rieder, 25 Jahre lang Chefredaktor
beim „Walliser Bote”, sieht Rotary nur als eines von vielen Netzwerken, das er in seiner
Region gepflegt hat, jedoch als ein wichtiges. „Ich konnte von den Connections mit den Rotariern
profitieren und umgekehrt. Es war eine Win-Win-Situation mit leichtem Vorteil für mich.” Das
habe über die Jahre aber nur deshalb funktioniert, weil er genaue Abmachungen getroffen und sich
stets an diese gehalten habe: „Wenn ich an einem Rotary-Lunch irgendetwas erfahren habe, das top
secret war, mir aber für die Zeitung wichtig schien, legte ich meine Interessen in einem
freundschaftlichen Sinn offen. Und wenn ein Rotarier-Kollege ein Firmenjubiläum feierte, war klar,
dass ich das nicht grösser bringe als bei anderen.“ Auf Transparenz gegenüber
anderen Club-Mitgliedern setzte auch Christine Fivian: „Ich habe in meinem Eintrittsreferat meine
Auffassung von Journalismus dargelegt und gleichzeitig die Botschaft kommuniziert, dass ich mich nicht
vereinnahmen lasse.” Auch Catherine Duttweiler legte die Bedingungen einer Mitgliedschaft
gleich zu Beginn auf den Tisch: „Es gibt für Rotarier keine Sonderbehandlung in meiner
Zeitung.” Das sei sofort akzeptiert worden. Als das „Bieler Tagblatt” etwa über
einen medizinischen Kunstfehler berichtete, der in der Klinik eines Rotariers vorgefallen war, habe es
kein böses Blut gegeben.
Konflikte inbegriffen. Doch so harmonisch verlaufen
Interessenkonflikte nicht immer. Dass es trotz transparenter Regeln Konflikte geben kann, erlebte einer
ihrer Vorgänger beim „Bieler Tagblatt”: Martin Bühler, heute Mediensprecher beim
VBS. Er war Rotarier im selben Club wie Duttweiler: „Einer meiner Mitrotarier war
Gemeindepräsident einer Bieler Vorortsgemeinde, Oberst in der Armee und höherer Beamter im
damaligen EMD. Er hatte Alkoholprobleme und fiel in der Öffentlichkeit negativ auf: Trunkenheit am
Steuer und polternde Leitung der Gemeindeversammlung. In einem Kommentar griff ich das Thema auf. Der
Tenor: Gemeindepräsidenten und Rotarier hätten Vorbildcharakter. Ich forderte meinen
Mitrotarier zum Rücktritt auf. Er war vorgewarnt, ich hatte ihm den Leitartikel am Tag vor dem
Erscheinen zugestellt. Das gab einen Riesenwirbel. Die Öffentlichkeit stellte sich hinter mich,
mein Verleger – ebenfalls Rotarier in einem anderen Club – auch, und der übrige
Gemeinderat trat geschlossen zurück, nachdem sich der Präsident geweigert hatte.” Darauf
folgten im Rotary-Club enorme Spannungen, erzählt Martin Bühler. Zwei Drittel hätten sich
hinter ihn gestellt, ein Drittel nicht. Die Wellen legten sich erst nach Monaten. Wellen schlug
kürzlich auch ein Kommentar von „Tages-Anzeiger”-Chefredaktor und Lions-Mitglied Peter
Hartmeier, den er unter dem Titel „Ein Plädoyer für den Service-Club – Wir
brauchen mehr Rotarier” in seiner Zeitung publizierte. Der Artikel war insofern brisant, als er
den Abschluss einer Service-Club-kritischen Serie im „Tagi” bildete. Darin wurde der
Rotary-Club des Filzes bezichtigt und als „geheimer Zirkel” dargestellt, weil die Mitglieder
des Zürcher Handelsgerichts von einer Kommission ernannt werden, in der fünf von neun
Mitgliedern Rotarier sind – darunter auch deren Präsidentin, Volkswirtschaftsdirektion Rita
Fuhrer (SVP). „Handelsrichter kann man nicht gegen den Willen der Rotarier werden”, lautet
das kritische Fazit der „Tagi”-Redaktoren. Das öffentliche Bekenntnis des
TA-Chefredaktors zur Lions-Mitgliedschaft machte den möglichen Interessenkonflikt der Journalisten
gleich selbst zum Thema.
Befangenheit vermeiden. Bei der Liste von
„Medienschaffenden” bei Rotary und Lions fällt auf: Es sind kaum leitende Redaktoren
aus der SRG zu finden. Peter Bertschi, stellvertretender Chefredaktor bei SR DRS, erklärt dies mit
den publizistischen Grundsätzen. „Für journalistisch tätige
(Führungs-)Personen gilt bei SR DRS der Leitsatz, wonach wir frei sein sollen von
Interessenbindungen jeglicher Art. Wir wollen mögliche Interessenkonflikte ausschliessen und schon
nur den Anschein von Befangenheit vermeiden. Ich würde demnach eine Mitgliedschaft ablehnen –
in jedem Fall aber müsste eine solche von der Radiodirektion bewilligt werden.” Auf eine
kleine Umfrage von EDITO haben eine Reihe von Chefredaktoren aus Verlagshäusern geantwortet, nicht
Mitglied in einem Service-Club zu sein (Namen siehe Kasten). Eine Mehrzahl der Befragten erklärt
dazu, eine solche Mitgliedschaft nicht prinzipiell abzulehnen. Jeder Journalist müsse selber
entscheiden, wie seine Unabhängigkeit durch allfällige Club-Mitgliedschaften
beeinträchtigt werden könnte. Ivo Bachmann, einst Chefredaktor des „Beobachters“
und der „BaZ“, heute Inhaber und Geschäftsführer einer Medienberatungsagentur,
vertrat während seiner bisherigen beruflichen Laufbahn die Haltung: Die Mitgliedschaft in einem
Service-Club führt für Medienschaffende zu Interessenkonflikten. Darum erteilte er zwei Clubs,
die ihn aufnehmen wollten, eine Abfuhr, das letzte Mal in Basel, wo er von Rotary angefragt wurde.
„Ich nahm an ein paar Meetings teil, diskutierte mit dem Vorstand und kam schliesslich zum
Schluss, dass ich als Chefredaktor in diesem Netzwerk von bedeutenden Machtträgern der Stadt nicht
unabhängig bleiben kann. Besonders bei wirtschaftlichen Themen kann die Club-Freundschaft
probematisch werden.“
© EDITO 2009
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