Eine neue Gratiszeitung: Etwa 80 Journalisten, vornehmlich im Pensionsalter, starten „Journal21”. Der ehemalige Tagesschau-Chef Heiner Hug will mit seiner Rentnerband täglich neuen Hintergrund bieten. Von Philipp Cueni
Die Tagesschau sei der grösste Seniorenclub des Landes, schrieb dessen ehemaliger Redaktionsleiter Heiner Hug vergangenen Herbst in seinem Buch „Fernsehen ohne Zuschauer”, nachdem er bei SF altershalber zurücktreten musste und in Pension ging. Gemeint war der hohe Altersdurchschnitt des Publikums. Jetzt gründet Heiner Hug einen eigenen Seniorenclub und startet neu: Mit einer Mannschaft von gegen 80 Journalistinnen und Journalisten, fast alle frühpensionierte und pensionierte, gründet er eine neue Zeitung, welche auf dem Internet erscheinen wird.
Lust. „Journal21” heisst die neue Publikation, und Hug spricht bewusst von einer Zeitung: Es geht in allererster Linie um Textbeiträge, welche im Internet zu lesen sind. Als Autoren konnte Hug namhafte Kolleginnen und Kollegen gewinnen (siehe Box). Es sind Journalisten, welche in mindestens einem Ressort ein grosses Wissen und viel Erfahrung vorweisen können. Und die offensichtlich weiterhin „Lust auf Journalismus” haben, wie Hug es ausdrückt: „Das journalistische Feuer erlöscht mit der Pensionierung nicht.” Und der Abbau („Massaker”) beim „Tages-Anzeiger” und der NZZ mit etlichen Frühpensionierungen von vielen guten Journalisten biete eine Chance. Das Projekt ist ambitiös: Jeden Tag sollen neben einem guten Bild zum Zeitgeschehen zwei bis drei Beiträge neu ins Netz gestellt werden. Analyse, Hintergrund, Kommentierung („eine Vielfalt von pointierten Meinungen”) sollen geboten werden. Die „latent aktuellen” Beiträge seien eine Ergänzung zum newslastigen Angebot der anderen Medien – und gerade Hintergrund werde eben anderorts zu wenig geboten, meint Heiner Hug. Im Visier habe man ein anspruchsvolles, wissbegieriges, interessiertes Publikum. Geboten werden soll, was den eigenen Autoren thematisch Lust macht. Dennoch sind die Ressorts überraschend klassisch gegliedert in Schweiz, International, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Lifestyle und Hintergrund. Vorgesehen sind aber auch beispielsweise ausführliche Buchbesprechungen („die sonst ja kaum mehr gemacht werden”, so Hug), eine Gartenkolumne eines angesehenen Historikers oder Reiseberichte („unabhängig von der Tourismusbranche – so, wie es die anderen kaum mehr realisieren”). „Wir schreiben für einen Nischenmarkt”, sagt Hug, „vielleicht interessieren sich einmal 30 Personen für einen Bericht aus Tadschikistan, aber das ist es uns wert. Denn wir schielen weder auf ein Massenpublikum noch auf Auflage oder Quote.”
Gratisarbeit. Wer soll das denn finanzieren? Das Geschäftsmodell ist bei „Journal21” sehr einfach: Es verdient niemand etwas, alle arbeiten gratis – und leben weiterhin von ihrer Pension oder anderen Nebeneinkünften. Gratis arbeitet auch ein Kernteam von etwa sechs Personen, welches sich die Dienstredaktion wochenweise aufteilt: das Akquirieren der Beiträge, Redigieren der Texte, Aufbereiten für das Netz, Aktualisieren der Website, und die Kontrolle der Feedbackbeiträge aus dem Publikum. Die wenigen technischen Grundkosten – ein tiefer fünfstelliger Betrag – bezahlen die Initianten aus dem eigenen Sack. Etwas Werbung sei trotzdem willkommen. Die Website ist einfach und traditionell aufgebaut: Sie bietet jeweils 20 Beiträge, geordnet nach Relevanz. Wird ein Text von dieser Liste genommen, ist er danach im Ressort zu finden, wo die Texte archiviert werden.
Qualität. Wert legt Heiner Hug auf Qualität: „Journal21” ist keine Textplattform, wir nehmen nicht jeden Text und in die Autorengruppe wird nur aufgenommen, wer empfohlen wird.” Erste Kontakte hat Hug im März geknüpft, seither sind sehr viele positive Reaktionen eingetroffen. Eine erste Versammlung von 32 Journalisten hatte am 28. Juli im Niederdorf stattgefunden. „Da kamen Journalisten zusammen, welche früher Konkurrenten waren. Die Stimmung war enthusiastisch”, berichtet Hug. Aber vorerst wolle man sich weder eine Rechtsform noch allzu feste Strukturen geben. Wenn sich 80 Top-Namen aus dem Journalismus auf ein Projekt einlassen, setzt das hohe Erwartungen. Aber an den gängigen Kriterien wie „wirtschaftlicher Erfolg” oder „Quote” wird „Journal21” nicht gemessen werden können. Es wird interessant sein zu beobachten, wie weit die Redaktion der Pensionierten eine Herausforderung für die Kollegen der etablierten Redaktionen sein wird. Zumindest scheint das Projekt schon vor dem Start weitere Kreise zu ziehen: Es haben sich eine Reihe von jüngeren Autorinnen und Autoren bei Heiner Hug gemeldet: „Schon in Udo Lindenbergs frühen Zeiten spielte eine ‚Rentnerband’ und sie rockte mächtig los.”
Die Namen. Folgende Autorinnen und Autoren stehen auf der Liste von „Journal21” (Auswahl): Peter Achten, Beat Allenbach, Roman Berger, Jürg Bissegger, Heidi Blattmann, Hansjörg Enz, Pia Horlacher, Arnold Hottinger, Heiner Hug, Bernard Imhasly, Roland Jeanneret, Peter Klein, Gunhild Kübler, Claudia Kühner, Christoph Kuhn, Emanuel Laroche, Emil Lehmann, Kathrin Meier-Rust, Peter Müller, Thomas Rüst, Helmut Scheben, Marlène Schnieper, Kurt Siegentaler, Ignaz Staub, Peter Studer, Toni Zwyssig.Es sind vor allem JournalistInnen aus Zürich, welche früher bei SF, SR DRS, „Tages-Anzeiger” oder der NZZ gearbeitet haben. Dazu kommen einige Professoren und Fachspezialisten.
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