Goldgräberstimmung. Die Medienbranche schöpft wieder Hoffnung. Auch digital. „Zeitungen wittern Geld im Internet”, titelt die „NZZ am Sonntag”. „Online-Werbevolumen soll bald 400-Millionen-Grenze knacken”, vermelden Fachzeitschriften.
Auf solche Schlagzeilen haben wir gewartet. Zehn Jahre lang. Damals, im Jahr 2000, war die (letzte) „Dotcom-Blase” geplatzt. Grandiose Business-Pläne hatten sich ins digitale Nirwana verflüchtigt. Vergessen, vorbei. Das iPad-Zeitalter ist angebrochen. „Das ist der Beginn einer neuen Ära”, prophezeit Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner in einer US-Talksendung auf PBS.
Riesiger Bazar. Doch bevor wir kollektiv abheben, suchen wir kurz noch etwas Bodenkontakt. Orientieren uns also nicht an Verheissungen, sondern an Fakten. Was besagen diese?
Wir hatten in unserem Beratungsunternehmen kürzlich das Vergnügen, für eine neue Online-Plattform eine Projektkalkulation erstellen zu dürfen. Es galt, unter anderem die möglichen Werbeerträge abzuschätzen. Wir analysierten das Marktumfeld, sprachen mit ausgewiesenen Online-Werbefach-leuten, studierten Werbetarife. Und rechneten. Und rechneten. Und rechneten.
Allein: Die Zahlen blieben ziemlich rot. Denn die meisten Online-Plattformen realisieren nur einen Bruchteil der Einnahmen, den sie eigentlich erzielen müssten. Die publizierten Online-Werbetarife sind reine Makulatur. Tausend-Kontakt-Preis TKP? Kann man vergessen. Die Preise für Banner, Pop-Ups, Rectangles? Lassen sich stets verhandeln. Die Internet-Werbung ist ein einziger Bazar. Rabatte hier, Sonderpreise da.
Schöner Schein. Wir machten die Probe aufs Exempel. Wir verglichen die – gemäss Tarifen und Belegung – theoretisch fälligen Werbeeinnahmen von Online-Angeboten führender Schweizer Medien-unternehmen mit den tatsächlich erzielten Online-Erträgen, wie sie in der internen Rechnung ausgewiesen werden. Das Ergebnis ist verheerend. Wäre konsequent nach Tarifen abgerechnet worden, müsste die durchschnittliche Werbeauslastung ganz tief im Keller liegen. Anders gesagt: Der schöne Schein trügt. Kaum eine Online-Werbung ist voll finanziert.
Was hat dies einen inhaltlichen Arbeiter zu bekümmern? Sehr viel, sehr direkt. Denn nach wie vor sind die meisten journalistisch gemachten Websites hoch defizitär. Die entsprechenden Arbeitsplätze sind nur gesichert, so lange eine Querfinanzierung fliesst. Zum Beispiel aus dem guten alten Print. Oder aus irgend einer neuen Goldgrube. Doch ob der neue iPad diese Ertragsquelle ist, muss sich erst noch weisen.
Ivo Bachmann www.bachmannmedien.ch
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